Sonderlinge
Ab Mitte der 1990er-Jahre habe ich verstärkt mit Acrylfarben gemalt. Als Berufstätiger nutzte ich Wochenenden und Ferienzeiten. Aber ich wollte auch Abends etwas machen, im kleinen Format, mit minimalem Aufwand. Ich war es gewohnt, mit normalen Bleistiften zu zeichnen. Am Küchen-
oder Schreibtisch aber wurden Bleistiftzeichnungen blass und kraftlos, die Szenen unscheinbar, unbefriedigend. Als ich mit Kohle zu Zeichnen begann, sahen die Ergebnisse zwar manchmal noch ungelenk und undifferenziert aus, aber auf jeden Fall hatten sie mehr Wucht. Mit dem Nero-Stift bekam ich Linien-Kraft hinzu. Dann brachten farbige Tuschen einen weiteren Aspekt ein, sie lassen sich auch mit Acrylfarben vermischen. Mit einem farblosen Wachsstift konnte ich auf Papier zeichnen, ohne dass sofort etwas sichtbar wurde. Sobald ich danach in die Farben ging, blieben die Stellen, an denen das Wachs das Papier bedeckte, weiß. So entstanden neue Strukturen in den Arbeiten. Und es kam noch eine farbliche Neuentwicklung hinzu: Oilsticks. Mit ihnen lässt sich sämige Ölfarbe zu Papier bringen und mit den Fingern verreiben, ohne dass man mit Lösungsmitteln arbeiten muss.
Viele dieser Arbeiten aus den Skizzen-Büchern sind nicht zum Vorzeigen geeignet, sie sind voller Redundanzen und Sackgassen. Aber immer wieder finden sich darin positive Überraschungen.
Die Ronda-Gruppe Ronda entdeckten wir auf unserer ersten Andalusien-Reise in den 1980er-Jahren. Da machte ich aber noch keine Reisezeichnungen. So war es der Zufall eines Ronda-Fotos, welches die andalusische Tourismus-Agentur 2008/9 in deutschen Zeitschriften geschaltet hatte, das wie ein Anstoss wirkte. Die berühmte Brücke, die die zwei Ortsteile auf jeweiligen Felsenbuckeln miteinander verbindet, dazu die weißen Häuser an der Felsenkante – ja, das war eine reizvolle Aufgabe für ein kleines Panorama-Format.Sie wuchs sich aus zu einer ganzen Reihe von Ronda-Phantasien mit unterschiedlichen Stimmungen und in verschiedenen Techniken. Allesamt entstanden in späten Abendstunden mit viel Wein. – Auch zwei quadratische Arbeiten im Format 40 x 40 cm sind schließlich daraus hervorgegangen.
Überdruckungen Als Bahn-Pendler gewöhnt man sich an seine Ein- und Ausstiegsumgebung. Wenn man sich entscheidet, dort zu Zeichnen oder zu Fotografien, ändert sich alles. So ging es mir mit dem "Oswaltsgarten", meinem jahrelangen morgendlichen Einstiegsbahnhof in Gießen. Eine völlig profane städtische und Bahn-Umgebung wurde interessant und damit zu einem Motiv für einen Styroporschnitt. Gegebene Strukturen, freie Farbwahl. Dann experimentierte ich mit Handdrucken auf Illustrierten-Motiven. Ausgesucht nach farblichen Flächen, überrascht jede Überdruckung mit dem gegebenen grafischen Motiv. Ein mehr oder weniger geplanter Zufall bringt dann neue Stimmungen und Motivveränderungen hervor. Eben Verwandlungsprozesse. Manchmal funktioniert das gut, manchmal taugt die Überdruckung nichts und muss weg. – Im Folgenden ein paar Beispiele für Überdruckungen (alles im Format ca. 19 x 19 cm).
Dach-Landschaften Im Süden dominieren die Häuser mit Flachdächern. Auf Lanzarote dienen sie noch immer dem Sammeln von Regenwasser in Zisternen. In Apulien ist das nur noch ein Aspekt unter anderen. Wir bevorzugen auf Reisen ein Domizil mit Zugang zum Dach. Weil wir nicht in den heißesten Monaten des Jahres reisen, bekommen wir vom Leben der Menschen auf den Dächern wenig mit. Aber beim Blick über die Dächer sieht man sofort, wo sie, ob kleine oder große Flächen, nur noch zum Wäsche-aufhängen genutzt werden oder ob sie für Freizeit und Geselligkeit durchgestaltet sind. In jedem Fall beherbergen sie Antennen, Sattelitenschüsseln, Wassertanks und zunehmend auch Klima-Anlagen-Kästen. Die Dächer sind für mich "Landschaften" mit weitem Blick, der immer wieder auf Kirchtürme aus den verschiedenen Epochen trifft. Dazu das Leben der Schwalben und Möwen. Was vor allem die Schwalben zur Dämmerung aufführen, ist atemberaubend. – Ich habe mir eigens ein Skizzenbuch mit etwas körnigerem Papier zugelegt, in dem ich mit eckigen Pastell-Stiften experimentiere. Sie passen zur Tektonik der Dächer und deren Ambiente. Die folgenden Arbeiten im Format A 3 sind von 2013 und "spielen" in Monopoli, einer Hafenstadt in Apulien.
Fassaden-Wandel Da war das Foto von einer Baustelle mit der typischen Beton-Raster-Fenster-Monotonie, der man auch in Frankfurt begegnet, oft verglast und spiegelnd. Für einen Styroporschnitt schien mir das Motiv geeignet, aber das war eigentlich ein gedanklicher Irrtum. Farblich waren die neun verschiedenen Drucke gar nicht schlecht, aber die leeren hellen Fensterflächen waren in ihrer Monotonie doch ernüchternd. Was tun? Ich erinnerte mich an Öl-Pastelle. So wurde die Fassadenwelt im Format 40 x 30 cm individuell farbig bis bunt. Man stelle sie sich als Hochhäuser vor.
Abklatsch-Monotypien Auf dünnen Plastikplatten oder Glasscheiben werden Linol-Farben angemischt für den Druckprozess. Nach den Druck-Prozessen befinden sich immer noch Farbreste auf Platte oder Glas. Man kann sie mit Wasser abwaschen und dann trocknen lassen für die nächste Farben-Anmischung. Aber warum eigentlich? Warum nicht die Restfarben nutzen, da waren doch so schöne Farbflächen und fast auch Motive. Denen konnte ich mit einem Holzrakel nachhelfen. Dann ein dünnes Druckpapier auf die Farbplatte gelegt – und mit der Druckwalze einen Abklatsch gemacht. Manchmal reichte es sogar für zwei, aber dann war Schluss. Ich habe dann Glühwürmchenpfade, wehende Plastikplanen von aufgegebenen Treibhäusern oder einen Baumstumpf in Sumpfgelände gesehen. Muss man nicht. Das Blatt mit der ockerfarbigen Struktur ging schon vor der Eröffnung einer Ausstellung in Gießen in einen anderen Besitz über – wegen Farbe und Struktur. Einen Titel brauchte das Bild nicht.
Die Liebenden von Mantua Über den gleichnamigen Roman des Schweizer Schriftstellers Ralph Dutli war ich auf „Romeo und Julia aus der Steinzeit“ gestoßen, jenes Skelett-Paar, welches 2007 nahe Mantua in einer Grablege aus der Jungsteinzeit gefunden worden war. Einander zugewandt lagen sie da gut 6000 Jahre. Über das Internet fand ich die Fotos von Dagmar Hollmann (Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY-SA 4.0) aus dem Archäologischen Museum in Mantua. Mit Ausdrucken einiger Fotos konnte ich meine Arbeit beginnen. Sie wurden auf Leinwand aufgebracht und mit Asche und verschiedenen farblichen Sanden versehen. Dabei konzentrierte ich mich auf die Schädel. Nur bei ihnen habe ich einen minimalen Farbeintrag vorgenommen, ansonsten handelt es sich um Sande, die Cornelia Hollaender auf verschiedensten Reisen gesammelt hatte. – Im linken der beiden Seiten-Bilder sind noch getrocknete Pflanzenreste eingearbeitet. Zusammen ist das Triptychon ca. 70 x 200 cm groß.